“Szene geht von Revolution aus”: Aussteiger beschreibt den Hass auf Juden unter Nazis



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“Szene geht von Revolution aus”: Aussteiger beschreibt den Hass auf Juden unter Nazis

  • Felix Benneckenstein war zehn Jahre lang ein überzeugter Nazi
  • Der Aussteiger berichtet nun in der HuffPost, wie groß der Antisemitismus in der Neonazi-Szene ist
  • Benneckenstein sagt: Der Hass auf Juden wird nicht als Hass auf Minderwertige gelebt – sondern als revolutionäre Bewegung 

Sie nannten ihn Flex. Flex war Liedermacher, er sang Texte mit Titeln wie “Bock auf Freiheit”, “Stellt euch quer” oder “Mein Volk”. 

Seine Lieder wendeten sich gegen die verhasste Elite, gegen die Unterdrücker. Gegen Juden. Flex und seine Freunde waren Nazis – und sie glaubten, dass das Weltjudentum die Wurzel allen Übels auf der Erde sei.

Heute heißt Flex wieder Felix Benneckenstein. Nach seiner Zeit in der Neonazi-Szene in Dortmund und München ist er ausgestiegen, schon vor Jahren. 

“Bis ich die ganze Ideologie losgeworden bin, hat es drei Jahre gebraucht”, sagt er im Gespräch mit der HuffPost. “Doch der Aspekt, dass die Juden in den Hinterzimmern sitzen würden, von wo aus sie die Welt regierten – da brauchte ich nicht lange, um das zu hinterfragen.”

“Das war wie ein Erwachen”, sagt Benneckenstein. “Wie zur Hölle konntest du dir das einreden?”

Benneckenstein: “Es ist ein Opfermythos”

Benneckenstein arbeitet jetzt für die Organisation Exit. Er hält Aufklärungsvorträge in Schulen und hilft anderen Rechten, aus der Nazi-Szene auszusteigen – und ihren Hass auf Juden zu überwinden. 

“Bei vielen ist es so, dass man es erstmal mitträgt”, sagt Benneckenstein. Das sei auch bei ihm so gewesen. Antisemitismus sei unter Nazis eine gefährliche Mischung aus Überzeugung und Mitläufertum. 

Der Hass richte sich heutzutage vor allem gegen Israel und seine Unterstützer und habe auch eine kapitalismuskritische Komponente. 

“Im Alltag wird nicht täglich darüber gesprochen”, sagt der Aussteiger. “Jeder weiß, wer der ‘Feind’ ist. Man hat sich fest darauf verständigt: Die Herrschaft des Finanzjudentums ist die Wurzel allen Übels.”

Der Judenhass unter deutschen Nazis funktioniere nur, weil man sich einrede, dass die Juden die Mächtigen seien – und das deutsche Volk die Unterdrückten.

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“Es ist ein Opfermythos”, sagt Benneckenstein. “Man hat nicht das Gefühl, dass man auf eine Minderheit losgeht. Es wird so getan, als ob die Juden eine geheime Übermacht wären.”

Das Absurde: Eigentlich hätten Nazis laut Benneckenstein nie Kontakt zu jüdischen Menschen. Die Menschen hinter dem Feindbild seien ihnen meist also vollkommen fremd. Das mache es auch leichter, das eigene Weltbild, die eigene Wut aufrecht zu erhalten, sagt er.

Es ist eine Wut, für die in Deutschland laut Benneckenstein auch die Holocaust-Leugnung elementar sei. 

Rachegelüste und der Traum von der Revolution

Denn die Leugnung des Holocausts stehe in Nazi-Kreisen für eine klare Botschaft: Man wolle sich dafür rächen, dass die Juden diese Lüge über das deutsche Volk in die Welt gesetzt hätten. 

Benneckenstein berichtet, dass die Szene für diese Rachegelüste gerade starken Auftrieb verspüre. Der Aufstieg der Neuen Rechten und der Rechtspopulisten der AfD in der Politik gebe den Nazis das Gefühl, sie könnten bald das Volk mit ihrer nationalsozialistischen Ideologie erreichen.

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“Man geht davon aus, dass es bald zu einer Revolution reichen könnte”, sagt Benneckenstein. “Es ist eine gefährliche Grundstimmung Richtung Endzeit und letztes Gefecht.”

Benneckenstein ist überzeugt, dass sich die Nazis in dieser Hinsicht komplett verschätzen. Tatsächlich sei es so, dass die Neonazi-Szene durch den aufkeimenden Rechtspopulismus auch an Einfluss verliere. 

Benneckenstein fürchtet auch um seine Sicherheit

“Ich mache mir Sorgen, dass diese Stimmung in Gewalt umschlägt, wenn die Rechtsradikalen bemerken, dass es eben nicht zu einer Revolution reicht”, sagt Benneckenstein. 

Das Aggressionspotential der Neonazi-Szene ist hoch. Im ersten Halbjahr 2017 wurden laut Behördenstatistik 700 antisemitische Straftaten begangen, die meisten davon von Rechtsextremen. 

Gleichzeitig ist die Zahl der rechten Gewalttaten in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Die Hälfte aller politischen Gewaltverbrechen werden von Rechtsradikalen verübt.  

Felix Benneckenstein macht sich deshalb auch Sorgen um seine eigene Sicherheit. Seit er nicht mehr Flex ist, gilt er unter deutschen Nazis als Verräter.

An einer Wand am Bahnhof in der Nähe seiner Wohnung entdeckte er einmal ein zwei Meter großes Hakenkreuz, darunter stand: “Wir kriegen dich.” 

Aber den Liedermacher Flex gibt es nicht mehr. Nur noch Felix Benneckenstein – und der will seinen Kampf gegen Rassismus und Judenhass nicht aufgeben. 

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(ll)

www.huffingtonpost.de/entry/antisemitismus-neonazis-aussteiger_de_5a352454e4b01d429cc92f24


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