“Dachau ist nicht weit von hier” – was ich als deutsch-jüdischer Künstler seit meiner Kindheit erlebe



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“Dachau ist nicht weit von hier” – was ich als deutsch-jüdischer Künstler seit meiner Kindheit erlebe
Seit seinem 14. Lebensjahr steht Gil Ofarim auf der Bühne. 

Eine leise Bedrohung war immer da. Nicht ohne Grund wurde die jüdische Grundschule, die ich besucht habe, von Polizisten mit Maschinengewehren bewacht.

Groß hinterfragt habe ich das nie. Ich kannte es nicht anders. Auch nicht, dass an großen Feiertagen ganze Straßen gesperrt wurden, damit die Leute ohne Angst zu haben in die Synagoge gehen können.

Die Shoah war in meiner Kindheit immer ein Thema. Meine Großeltern, wie auch die einiger meiner Schulfreunde, wurden im Zweiten Weltkrieg verfolgt.

Einmal war ich bei einem Freund zum Schabbatfest eingeladen, bei dem auch seine Großeltern anwesend waren. Beim Anblick der eintätowierten Nummern auf ihren Unterarmen, ist es mir jedes Mal kalt den Rücken runtergelaufen.

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Nicht nur deshalb bekomme ich Bauchschmerzen, wenn ich mir die Schlagzeilen der letzten Tage anschaue.

Es darf einfach nicht wahr sein, dass auf deutschen Straßen wieder offen gegen Juden gehetzt wird und israelische Flaggen brennen.

Nicht, dass der Antisemitismus jemals aus Deutschland verschwunden wäre, aber es war auf jeden Fall lange Zeit ruhiger, als es das zurzeit ist.

Weil es in München kein jüdisches Gymnasium gibt, bin ich auf ein öffentliches Gymnasium gegangen. Ich muss so in der fünften oder sechsten Klasse gewesen sein, als ein Mitschüler im Streit zu mir sagte: “Ey, Dachau ist nicht weit von hier.” Ich glaube, er wusste nicht, was er da sagt. Ich habe bei soetwas immer versucht wegzuhören.

Er riet mir, meinen Davidstern abzulegen

Aber es gab Situationen, in denen das nicht möglich war.

Als Jugendlicher habe ich einige Zeit in Asien gelebt. Mein Vater, der meine Musikkarriere auch als Manager begleitet hat, war immer an meiner Seite. Unter anderem verbrachten wir eine tolle Zeit in Kuala Lumpur in Malaysia.

Bei der Abreise aus Malaysia bat mich der Sicherheitsmann am Flughafen ein Autogramm für seine Tochter zu unterschreiben. Wir unterhielten uns entspannt und machten ein paar Scherze. Als der Mann den Pass meines Vaters kontrollierte, schlug die Stimmung schlagartig um.

Er hielt ihn, als sei es ein Stück Dreck und warf ihn meinem Vater ins Gesicht. Mein Vater besaß damals nur einen israelischen Pass.

Daraufhin hat mein Vater seinen Pass geändert. “Es hat keinen Sinn, wir werden noch öfter verreisen”, sagte er.

Seinen Pass kann man ablegen, aber seine Identität nicht. Das würde ich auch gar nicht wollen.

Vor ein paar Jahren habe ich ein Konzert in Sydney gegeben. Der Veranstalter, ein sehr netter Mann, mit dem ich gut auskam, sagte zu mir: “Vielleicht ist es besser, wenn du deinen Davidstern ablegst, bevor du auf die Bühne gehst.” Er meinte, dass ein paar Männer im Publikum sich dadurch provoziert fühlen könnten.

Ich tat es nicht. Und es ist zum Glück nichts passiert.

Einschüchtern lassen habe ich mich nie. Ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass ich Jude bin. In den Neunzigern war ich als Popsänger öfter in der Jugendzeitschrift “Bravo” zu sehen. Unter anderem habe ich mich selbst in einer Foto-Lovestory gespielt, in der ich meinen Schwarm zum Hannukah-Fest bei meiner Familie eingeladen habe.

So sollte Zusammenleben in Deutschland funktionieren.

Und ich glaube fest daran, dass das, was wir gerade erleben, auch wieder vorbei geht. Wir leben schließlich in 2017 und nicht 1923. Aber damit sich etwas ändert, müssen wir etwas tun. Es reicht nicht, darüber zu reden, aber es ist ein Anfang.

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Ich wünsche mir Frieden im Nahen Osten

Die Bilder, die man zurzeit aus dem Nahen Osten sieht, machen mich traurig. Israel ist für mich genauso Heimat wie Deutschland. Ich liebe beide Länder und ihre Leute. Deshalb würde ich mir so sehr wünschen, dass es da unten irgendwann Frieden gibt.

Ich kann es kaum erwarten, bis ich meine Tochter das erste Mal dorthin mitnehmen kann. Mit meinem kleinen Sohn war ich schon einmal da. Wir waren am Toten Meer, in Tel Aviv, Haifa und in Jerusalem. Unter anderem habe ich ihm die Klagemauer gezeigt. Das war für mich ein bedeutender Moment.

… father and son !…

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Dabei bin ich nicht mal besonders gläubig. Ich habe in Deutschland, Israel und in Asien gelebt. Und ich würde sagen, dass ich immer versucht habe, aus allen Kulturen das Beste zu übernehmen. Das ist doch eine wunderschöne Sache. Mal feiere ich Hanukkah, mal Weihnachten. Am Ende geht es doch eh bloß darum, Zeit mit seiner Familie zu verbringen und das Leben zu feiern.

Das Gespräch wurde von Anna Rinderspacher protokolliert .

2018 feiert Gil sein 20-jähriges Bühnenjubiläum. Alle Tourdaten findet ihr auf seiner Webseite www.gilofarim.com/. Am 25. Dezember ist er außerdem um 14:45 Uhr im Film “Das Wasser des Lebens” zu sehen.  

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www.huffingtonpost.de/entry/gil-ofarim-antisemitismus_de_5a353dafe4b0ff955ad3579d


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